Die Belagerung von Karavia
Erzählt von Pergio Vasti, einem Militärchronisten.
Teil 1
Die Festungsstadt Karavia wurde am Ort des ersten Aufeinandertreffens der Matis mit der Karavan errichtet. Diese Stadt fiel während der Herrschaft des Königs Noblis an barbarische Fyros. In der Mitte des Weges der Wasserroute zwischen den Seenländern und dem Fyros-Territorium liegend, wuchs der Ort zu einer beachtlichen Garnisonsstadt, die einen guten Schutz gegen die bewaffneten Fyros-Stellungen im Norden und Süden bot. Drei Generationen reichten leider nicht aus, um die tiefen Wunden der Unterdrückung heilen zu lassen, die uns von den Eindringlingen zugefügt wurden, welche sich immer noch am heiligen Land laben, unserem Land.
Doch aus den Ruinen unserer durch die Revolte gebeutelten Herrschaftsgebiete kam mit dem mutigen Kriegerkönig Aniro III, dem zweiten Sohn des altersschwachen Danido, neue Hoffnung auf. Aniro startete einen Feldzug mit besonders mutigen Rittern, um die Herzen der Bevölkerung zurück zu gewinnen, eine Armee zu bilden und unter einer Flagge gegen den Feind zu kämpfen.
Einer dieser Ritter war Gioni di Tylini, ein riesiger Koloss aus Karavia und ein glühender Verehrer Jenas. Vor allem in der Schlacht von Thormes zeichnete er sich aus, indem er Stammesgefangene überredete, loyale Untergebene zu werden, um zukünftig an seiner Seite zu kämpfen. Seine Rückkehr nach Matia, der Hauptstadt der alten Länder, wurde zu einem wahren Triumphzug und noch bevor die letzte Fanfare verklungen war, wurde er zum König ernannt. Jetzt war die Zeit endlich reif für die Ritter der Matis, die heidnischen Teufel aus dem heiligen Land zu verjagen.
Des weiteren würde ein Sieg bei Karavia den Weg zu den westlichen Seeufern im Westen, sowie einen praktisch sicheren Zugang zu den reichen Ländern der Tryker im Süden öffnen. Doch die Mauern der Festungsstadt waren stark und hoch. Die Bewohner vermochten der Belagerung solange Stand halten, bis sie von den Fyros Verstärkung erhalten würden, was aber aufgrund der Entfernung 40 Tage dauern würde.
"Aber mein Gebieter", sagte Tylini, "Bis wir Position bezogen haben, werden die Fyros sicher Hilfe zur Entlastung der Stadt geschickt haben, wir wären von 2 Armeen umzingelt."
"Geschätzter Tylini, seid ihr meiner Meinung, dass es für einen Sieg wichtig ist, das Land zu kennen? Ihr sollt der Lockvogel sein, der die Fyros auf unser eigenes Schlachtfeld führt, das wir selbst zeichnen."
"Mit all meiner Hochachtung, mein Lord, wir wären unfähig, uns zu bewegen und unsere Schlagkraft wäre nur noch halb so gut"
"Glaubt ihr, dass euer König euch mit Absicht in den Tod führen würde, Gioni di Tylini? "Nein mein Herr", protestierte der Ritter.
"Dann hört mir zu". Der König rollte eine Karte auf dem langen Syre-Holztisch aus.
"Ihr werdet die Stadt Karavia belagern, unsere Informanten haben uns berichtet, dort sei ein Heer von 5000 Mann dauerhaft stationiert. Aber auch wenn ihr zahlenmäßig überlegen seit, lasst uns den Gegner erniedrigen, damit seine Truppenmoral sinkt. Kein Matis darf verwundet oder gar getötet werden.
Unsere Schlagkraft in der großen Schlacht wird von dem Zustand ihrer Truppen abhängen. Jetzt müsstet auch Ihr mit Abylus einverstanden sein, dass die Fyros keine andere Möglichkeit haben, als ihr Verteidigung zu versammeln, die den langen Weg vom Norden in den Süden nimmt, oder aber sie verlieren ihre wichtige Wasserverbindung zu den Seeländern.
Ihr König wird währenddessen im Wald lauern, ein Stückchen abseits der Straße. Unsere Vorhut wird beobachten, wie sie den Pass überqueren ?" Als der König die Route mit einem in einen Lederhandschuh gekleideten Finger auf der Karte entlangfuhr, begann Tylini den Plan zu begreifen.
"Hmm und sobald sie dann vorbeigezogen sein werden, wird mir mein König eine Nachricht senden, damit wir uns von hinten annähern können, um den Gegner zu unserem Ziel zu treiben"
Der König gab dem großen Ritter einen kameradschaftlichen Schlag auf den Rücken.
"Lasst unseren Feldzug sorgsam von unseren Strategen vorbereiten, guter Tylini, und den Rest wird man in Geschichtsbüchern nachlesen können!"
Teil 2
Doch der Plan des Königs hatte leider einen Haken: Der Marsch nach Karavia würde mindestens zwei Monate dauern. Der Weg war beschwerlich und man musste sich durch die großen Bäume und die dichte Vegetation hindurchkämpfen und würde dabei den Vorteil der Überraschung verlieren. Tylini, der für seine guten Ideen bekannt war, heuerte eine zusätzliche Gruppe von 200 Handwerkern an. Anstelle nordwestlich in Richtung Karavia zu ziehen, zogen er und der König am Fluss entlang und nach drei Tagen Marsch erreichten sie die großen Wasserfälle von Ria, an denen sich der Fluss teilt. Nach nicht einmal einer Woche, in der Tag und Nacht gearbeitet wurde, hatten die Ingenieure und Handwerker aus 70 hohlen Bolkastämmen eine enorme Anzahl von Flößen hergestellt, mit denen sie die Armee den Ria hinabtransportieren konnten. Zwischen den Ortschaften Bero und Ronda standen flussabwärts Stämme und bestaunten die beeindruckende Flotte aus 300 Flößen, die 30000 Homins, Mektoubs und 150 ausgebildete Raguse den Ria hinunter in den Kampf transportierten. Innerhalb von einer Woche wurde der Zufluss des Darone erreicht, hier mussten sie aufgrund der starken Strömung die Flöße aufgeben und ihren Weg über das Land fortsetzen. Der König führte seinen Teil der Armee in Richtung Norden und Tylini seinen in Richtung Westen. Der Wald war hier weniger dicht und innerhalb von zwei Tagen hatte Tylini seine Armee in die Nähe der heiligen Stadt gebracht, sie war jetzt nur noch 1 Tagesmarsch in Richtung Norden entfernt. Die gesamte Reise hatte nicht einmal 20 Tage gedauert!
Außenposten und Dörfer, die südlich der Wasserwege lagen, wurden in kurzen aber effektiven Nachtangriffen dem Erdboden gleich gemacht. Jeder Feind der in den Dschungel fliehen wollte, wurde von den Ragusen aufgespürt und zur Strecke gebracht. Es war wichtig, dass Abylus keinen Hinweis von der Stärke der Armee erhalten würde, sonst würde er schnell doppelt soviel Hilfe schicken.
Bevor er in Sichtweite der heiligen Stadt war, spaltete er seine Truppen in 3 Abteilungen mit jeweils über 5000 Homins. Des weiteren achtete Tylini darauf, dass man nur einen geringen Teil seiner Truppen sehen konnte und nicht die ganze Truppe, aber gerade genug, um die Fyros wissen zu lassen, sie täten besser daran, in der Stadt zu bleiben. Als er aus seinem Zelt trat und auf einen flachen Hügel ging, sah er die Stadt vor sich. Er sah die großen hölzernen Türme, die Gebäude und die massive lebende Mauer aus den Urwurzeln, alles so, wie er es sich als Kind vorgestellt hatte. Es sah alles genauso aus, wie es ihm sein Großvater immer erzählt hatte und man konnte kaum einen Unterschied zu den Bildern erkennen, die an den Wänden des alten Familienwohnsitzes hingen. Alles bis auf den Boden stimmte überein. Dieser war von Pflanzen befreit worden und die Hauptstraße in Richtung der Tore verlief kerzengerade.
Zum Schutz der Stadt und um die Aufmerksamkeit der Kamis nicht auf sich zu ziehen, legte Tylini fest, es dürften keine Feuerwerfer eingesetzt werden. Wenn die Zeit reif wäre, würde die Stadt mit viel Kriegslist und großer Übermacht überrannt werden! Während die Ingenieure Belagerungsmaschinen entwarfen, fingen die Handwerker an, Bäume zu schlagen und die Krieger begannen einen Weg entlang der Grasnarbe zu finden, der eine Möglichkeit eröffnet, hinter den Stadtwall im Norden zu gelangen. Tausende Speere wurden im 45 Grad-Winkel in den Boden gerammt, um dem Nachschub der Fyros bei einem Angriff entgegenzuragen und so den Norden zu schützen. Die belagerten Fyros in der Stadt waren immer noch der Meinung, dass sie nichts zu befürchten hätten, weil ihre Verwalter ihnen ja eine Armee zur Unterstützung schicken würden, sobald sie den Ausfall der wichtigen Wassertransporte bemerken würden. Das ganze Ausmaß unserer Entschlossenheit bemerkten sie, als sie sahen, mit welchem Enthusiasmus wir das Schlachtfeld vorbereiteten. Doch sie unterschätzten unsere Kräfte und begannen, uns mit kleinen Gruppen anzugreifen, nach einer Weile stellten sie diese Angriffe jedoch ein, da es nur purer Massenselbstmord ihrer eigenen Truppen war. Obwohl die Angriffe aufhörten, wurden nicht wenige Fyros gefangen genommen, da sie immer wieder versuchten, durch unsere Reihen zu schleichen, um ihre Heimat von unseren Vorbereitungen zu unterrichten. Die Gefangenen wurden direkt wieder zurück zu den Stadtmauern geschickt, sie waren auf dem Rücken eines Mektoubs festgebunden und ihr Kopf lag auf ihrem eigenen Schoß!
Hier muss noch erwähnt werden, dass die Fyros in dieser Epoche bei der Karavan in Ungnade standen, da sie sich nicht an alle Gesetze gehalten hatten. Dadurch wusste Tylini, dass es innerhalb der Stadt keinerlei Möglichkeiten gab, Teleporter zu benutzen. Darüber hinaus hatte die Göttin Jena allen Homins das Recht gegeben, frei zu entscheiden, aber keiner der Homins hatte das Recht, sich in die Angelegenheiten anderer Homins einzumischen.
Innerhalb der zweiten Woche der Belagerung waren sämtliche Vorbereitungen erfolgreich abgeschlossen, die Homins wurden langsam nervös, da sie keine Nachrichten der Fyros-Armee erhielten. Aber eine Laune des Schicksals sollte bald eine Wendung herbeiführen.
Teil 3
Eine blutrote Sonne ging auf und ließ roten Schimmer auf die belaubten Äste über Tylinis Feld und die grünbraunen Wiesen des Schlachtfeldes fallen. Ein rüder Tumult erhob sich aus der Zitadelle in der die Heiden, seltsam für ihre niedere Position, sich den Feierlichkeiten zur Sommersonnenwende hingaben, als wollten sie unser Erbe weiter schmälern. Tylini beobachtete aufmerksam den Himmel und die dunklen Wolken, als er von hinten auf einmal ein unheilvolles galoppieren hörte. Gioni drehte sich um und sah einen vor Erschöpfung zusammenbrechenden Mektoub, der noch kurz den Kopf heben konnte. Der Bote, der wie ein echter Matis gerade noch von seinem Reittier gesprungen war, strich seine rotgrüne Kluft glatt, trat dem großen Ritter gegenüber und übergab ihm eine Schriftrolle, die ein Siegel der Blume vom Baylona trug, an der ein rotes Seidenband hing. Tylini nahm die königliche Nachricht mit leichter Erregung an, die sich aber sichtbar erhöhte, als er die Nachricht las. Er schaute sich um und trat vor seine Krieger.
"Meine Herren, bei der Liebe von Jena, der König hat uns folgende Worte gesendet: Heute wird Karavia seine Würde wiedergewinnen! Heute werden wir unsere Klingen ziehen und auf einer Welle des Glücks voran reiten." Danach zeigte er in Richtung Nordhimmel, als Bestätigung der Worte des Königs: Starke Rauchschwaden zogen von den warmen Sommerwinden getragen heran, und verteilten sich über das nördliche Schlachtfeld: "Im Land der Fyros wütet eine Feuersbrunst der Vergeltung! Die Vorsehung ist auf unserer Seite!" sprach Tylini.
Das Feuer, das als großes Feuer von Coriolis bekannt wurde, raste über das Ödland der Fyros, schnitt diese vom Wasserweg ab und verhinderte, dass Verstärkungstruppen der Fyros eintreffen konnten. Die große Schlacht die vorbereitet wurde, würde später folgen. Währenddessen war der Braten müde und eingeengt und es war an der Zeit, ihn garen zu lassen! Tylini schickte früh am Morgen eine Einheit Belagerungsmaschinen los, um die Bogenschützen der Fyros abzulenken. Währenddessen schlich sich eine Einheit Ritter mit Ragusen an eine Stelle der Mauer, von der Tylini wusste, dass es dort im Fundament aus Urwurzeln eine Schwachstelle gab. All das hatte ihm sein Großvater erzählt. Die hungrigen Hunde gruben an dieser Stelle und rissen ein Loch in die Mauer. Auf einen Befehl hin strömten die Raguse in die feindliche Burg und verursachten Chaos und Entsetzen, diese Ablenkung machten sich die Ritter zunutze und zerschnitten die Seile der großen hölzernen Zugbrücke. Das Schlachthorn erklang, die Trommeln hörte man weit über die Ebene hinaus und im verdunkelnden Licht kamen die Matis Welle für Welle der Stadt immer näher.
An der Spitze der Welle ging Tylini mutig voran und hackte sich seinen Weg durch den heidnischen Pöbel, deren Widerstand nicht lange andauerte. Im Morgengrauen leuchteten wieder die Flaggen der Matis über der heiligen Stadt von Karavia. Triumphierend stand Gioni di Tylini auf der Straße und schaute in den Himmel, um Jena zu danken, als große Regentropfen auf sein Gesicht fielen. Eine Sintflut durchbrach die Stadt und spülte all das heidnische Blut aus der heiligen Stadt, er drehte seine blutigen Handflächen nach oben, um sie im Regen zu reinigen. Tylinis Herz schwoll an vor Stolz, als im bewusst wurde, dass dieses Land jetzt das Seine war, er richtete seinen Blick südwärts in Richtung des Landes der Seen ?